15. April 2011 Christian Heep

Reicht’s denn..?

Editorial von Christian Heep, Vize-Präsident im Bundesverband eMobilität und Chefredakteur der NEUEN MOBILITÄT / Ausgabe 03 / April 2011

Carlos, 31 aus Berlin fährt an 254 Tagen im Jahr morgens 7,8 km zur Arbeit. Wenn er mal krank ist natürlich etwas weniger. Mittags geht Tanja in der Kantine essen und abends fährt sie die 11 km wieder nach Hause. Manchmal, ungefähr an 26 Tagen im Jahr, fährt Susan mittags schon mal 2,8 km ins Stadtzentrum und an 12 Tagen fährt Holger im Auto seines Kollegen Heinz mit in das 3,6 km entfernte etwas bessere Restaurant am Stadtrand. Manchmal fährt Janine mit einem Umweg von ca. 2,7 km abends noch beim Supermarkt vorbei. Am Wochenende fährt Maurice mit seiner Familie meist ins benachbarte Dorf oder an den See. Der ist recht weit weg, ganze 21,8 km. Vier bis fünf mal im Jahr besuchen Martina und Kai seine Eltern in dem 26,2 km entfernten Landhaus. Meist kommen ihre Eltern aber zu ihm in die Stadt gefahren, weil Steffis Tante abends gern mal ins Theater geht. Jens fährt lange Strecken gern mit der Bahn und im Urlaub fliegt Kristin gern nach Spanien. Pascal plant ca. 32 Arbeitstage im Jahr für seinen Arbeitsweg ein. Der nervige Weg morgens über den Stadtring dauert manchmal über 21,2 Minuten, obwohl es im Durchschnitt gerade einmal 9 km sind. Jeden Morgen fährt Emma 24 km in die Stadt, genießt dafür aber am Wochenende die schöne Landluft. Kleinere Ausflüge machen Doreen und Alex fast jedes Wochenende. Mal geht‘s mit den Kindern ins Schwimmbad (1,8 km) oder in die Stadt (4,3 km).

Ganz selten fährt Aydin mal mehr als 31 Kilometer in das Erlebnisbad. Seit Julias Mann seine eigene Praxis in der Stadt hat, fährt Jenny die Kinder morgens in die Schule, holt Max vom Fußball ab und geht zwei bis drei mal pro Woche in der Stadt einkaufen. Da kommt er schnell mal auf 12 bis 15 km am Tag. Die meiste Zeit steht Monas Auto aber in der Garage, auf dem Hof oder wartet auf dem Firmenparkplatz..

Fazit: Meine Statisten fahren fast jeden Tag mit dem Auto, je nach Studie meist so um die 20 bis 60 km, die meisten unter einer Stunde. Manchmal ist es auch ein bisschen mehr, vielleicht 80 km. Also ganz normal, so wie ca. 80% der europäischen Bevölkerung – was allein in Deutschland einem Fahrzeugbestand von 34 Millionen PKW entspricht.

Wenn es ein umweltschonendes und nachhaltiges Fahrzeugkonzept gäbe, das 80 bis 120 km Reichweite am Tag hätte, wäre das doch mehr als ausreichend, oder..? Wäre dieses Konzept zusätzlich auch noch emissionsfrei, sauber und leise, z.B. mit Erneuerbaren Energien aus dem eigenen Solar-Carport ressourcenschonend und CO2-neutral zu laden, würde Abhängigkeiten von der Tankstelle und instabilen Regionen mindern und dann im Laufe der Zeit auch noch jedes Jahr, der Innovationskraft unserer Unternehmen sei Dank, eine immer größere Reichweite haben, sowie zu guter Letzt in der Anschaffung günstiger werden..?
Das wäre dann wohl der Punkt, an dem viele wieder anfangen an den Weihnachtsmann zu glauben..

So könnte man zumindest meinen, wenn man die Medien-berichterstattung und politischen Debatten verfolgt, die von einer Verunsicherung großer Bevölkerungsteile sprechen und meist mangels Erfahrung und aus Unwissenheit die teils protektionistische Meinungsmache annehmen. Nicht nur, dass sie viel zu teuer wären, sondern auch, dass die Reichweiten überhaupt nicht ausreichen. Das ist schwer zu verstehen, haben wir doch gerade das Gegenteil festgestellt. Die wenigen Ausnahmen längerer Fahrstrecken lassen sich ohne Probleme auch anders organisieren. Im Falle eines elektrifizierten Zweitwagens, wir sprechen von ca. 10 Millionen PKW, zum Beispiel auch mit dem für geraume Zeit noch fossilen Erstwagen, der dem selbständigen Handelsvertreter gehört, der zugegebenermaßen in naher Zukunft mit einem eFahrzeug noch nicht weit kommt. Das sind aber die wenigsten. Die vom Bundesverband eMobilität avisierten 4,5 Millionen Elektroautos bis 2020 sind demnach reichweitentechnisch überhaupt kein Problem, entsprechen sie doch noch nicht einmal der Hälfte der Zweitwagen.

Die Renaissance der Elektromobilität steht am Anfang. In einigen Jahren sehen die Rahmenbedingungen in puncto Anschaffungspreis und Reichweite viel besser aus. Nicht dass das Thema Reichweite so wichtig wäre, aber im Rahmen des zu erwartenden technologischen Fortschritts ein Effekt, der zusätzliche Akzeptanz und Sicherheit bringt. Zudem erschließen sich mit sagen wir 20 km mehr Reichweite pro Jahr bei sinkenden Batteriekosten, kürzeren Ladezeiten, einer flächendeckenderen Ladeinfrastruktur und einem insgesamt geringeren Anschaffungspreis von anfänglich ca. 5 bis 10% pro Jahr permanent neue Nutzergruppen, die die Vorteile einer nachhaltigen Mobilität in Kombination mit günstigeren Verbrauchs- und Unterhaltskosten zu schätzen wissen. Spekulationen über einen steigenden Ölpreis braucht man an dieser Stelle für eine wirtschaftliche Betrachtung noch nicht einmal bemühen.

Zum Glück gibt es bereits heute genügend Early Adopters, die aus verschiedenen Gründen gewillt sind, Erste Flotten zu elektrifizieren und sich an dem derzeit noch höheren Anschaffungspreis nicht stören. Sie wollen Vorreiter, Vorbild und Wegbereiter einer Neuen Mobilität zugleich sein. Wissend, dass sich ihr grünes Invest vielfach auszahlen wird. Diese Elektromobilisierung wird immer sichtbarer und umso realistischer, wie geeignete Fördermöglichkeiten initiiert werden, die die monetäre Differenz zwischen fossilen und postfossilen Fahrzeugen immer kleiner werden lässt. Erst mit der Serienproduktion wird Elektromobilität wirklich den erwünschten Durchbruch erzielen.

Wenn wir also wirklich wollen, dass unsere Mobilität zeitnah nachhaltig wird, Klima- und Umweltschutzpotentiale im Verkehr weltweit effektiv nutzbar gemacht werden, unsere Städte leiser und sauberer werden, die Ressourcen unserer Welt geschont werden und wir durch den weiteren Ausbau zusätzlicher Erneuerbarer Energien unabhängiger werden, dann gilt es nun, uns gemeinsam und entschieden für eine Neue Mobilität einzusetzen. Es gilt, unsere Automobilwirtschaft und die Politik davon in Kenntnis zu setzen, dass wir nicht länger gewillt sind uns der Verzögerung und dem Protektorat einer fossilen Elite unterzuordnen.

Da wir wissen, dass viele andere Länder ebenfalls die Vorteile und die Zukunft der eMobilität erkannt haben, bedeutet der Einsatz für Elektromobilität auch, heimische Wertschöpfungspotenziale und deutsche, bzw. europäische Arbeitsplätze zu schützen. Der Wettlauf um marktbeherrschende Positionen hat bereits begonnen und ist in vollem Gange. Sicherlich stehen wir jetzt auch nicht ganz schlecht da, aber Vorreiter oder gar Leitmarkt, wie die Bundesregierung es wünscht, sind wir derzeit nicht mehr. Gut, dass es zahlreiche Forschungsinitiativen auch in Deutschland gibt, die recht vielversprechende Ansätze zeigen. Dennoch ist seitens der Politik ein viel größeres Engagement für Elektromobilität dringend gefordert. Einerseits natürlich weiterhin im Bereich Forschung und Entwicklung, andererseits müssen aber auch Kaufanreize gegeben werden.

Wir müssen jetzt Elektrofahrzeuge in großen Stückzahlen auf die Straße bringen, um den Anschluss an einen gigantischen Wachstumsmarkt nicht zu verlieren. Dieser Systemwechsel muss aktiv unterstützt und gefördert werden. Die politische Ausrede auf die technische Bereitschaft und Verfügbarkeit der deutschen
Automobilhersteller zu warten, kann hier nicht länger zielführend sein.

Einen intelligenten Förderansatz haben wir bereits mehrfach gefordert. 10.000 Euro je zur Hälfte an den Hersteller und an den Käufer – initiativ für die ersten 250.000 Elektroautos. Als Marktanreizprogramm werden Käufer und Hersteller damit gleichermaßen unterstützt. Hier im übrigen auch die kleineren Mittelständler, die in der Regel von den großen Fördersummen gar nicht profitieren – aber erstaunlicherweise gerade die ersten Fahrzeuge auf den Markt bringen.

An dieser Stelle möchte ich auch auf die bestürzende Situation in Japan eingehen und im Namen des gesamten BEM unserer tief empfundenen Anteilnahme Ausdruck verleihen.

Die katastrophalen Naturereignisse und das atomare Desaster sind ein viel zu hoher Preis für einen Kurswechsel in der Atompolitik. Ich hoffe, diese furchtbare Tragödie gedenkt der unzähligen Opfer zumindest damit, dass sich alle Staaten dieser Erde für den zügigen, weiteren Ausbau nach-
haltiger Energien aussprechen und ihre Atomambitionen grundlegend überdenken.

Christian Heep
christian.heep@bem-ev.de

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