9. Juli 2012 Christian Heep

Tacheles

Editorial von Christian Heep, Vize-Präsident im Bundesverband eMobilität und Chefredakteur der NEUEN MOBILITÄT/ Ausgabe 08 / Juli 2012

Vor dem Hintergrund drastisch zunehmender und ökologisch bedenklicher Entwicklungen ist es an der Zeit, die vorherrschende Betrachtungsweise im Bereich Energie und Mobilität über reine Wirtschaftlichkeitsbetrachtungen hinaus zu erweitern. Einige relevante Player schreiben sich diesen Strukturwandel inzwischen auch auf die Fahne der Opportune, finden jedoch in ihrem Umfeld noch viel zu oft Argumentationen für genau gegenteiliges Handeln.

Der Zusammenhang scheint vielen noch nicht klar geworden zu sein. Die Umweltfolgeschäden übersteigen bei weitem die Investitionen in nachhaltige Maßnahmen. Dieser übergeordnete Kausalrahmen eröffnet Potenziale für eine Green Economy, die sich immer sichtbarer und insbesondere erfolgreicher aufstellt. Je schneller diese nachhaltigen Technologien Marktpotenziale erobern, desto schneller wächst auch die Bereitschaft, sich dem anzuschliessen und eine neue Wirtschaftlichkeit zu entdecken, die in Einklang mit den Bedürfnissen nachfolgender Generationen steht.

Dass dies ebenso profitabel sein wird, ist vielen Investoren heute bereits klar. Dem im Wege steht oftmals das möglichst lange Abschöpfen bestehender Investments mit bereits abgeschriebenen Anlagen. Der Politik obliegt es, entsprechende Auflagen und Anreize zu schaffen, um die notwendigen Systemwechsel in allen relevanten Bereichen zu ermöglichen und sinnvoll zu fördern. Es wird endlich Zeit, dass der Faktor Umwelt eine Zahl bekommt.

Denn dann müssen externe Kosten bei Atom-, Öl- und Kohlekraftwerken, bei Verlusten der Biodiversität, sowie Ökosystemschäden beim Abbau von Uranerz, Ölschiefer und anderen Rohstoffen adäquat berücksichtigt werden. Der CO2-Ausstoß im Industrie- und Verkehrssektor, die katastrophale Luftverschmutzung und Lärmbelästigung insbesondere in urbanen Räumen und der allgemeine Ressourcenverbrauch müssen in TCO, Life Cycle Costing, Rentabilitäts-Analysen und ökonomischen Bilanzierungen sauber kalkuliert werden. Der Zahltag kommt immer näher.

Langfristig können wir uns dann mit den wirtschaftlichen Vorteilen einer Marktführerschaft in den Schlüsseltechnologien Elektromobilität und Erneuerbare Energien an eine sichtbare europäische Spitze stellen. Die Exportpotenziale in den Bereichen Aus- und Weiterbildung, Technologietransfer, Anlagen- und Maschinenbau und die Vermeidung von Energieemissionen sichern Wohlstand und Wertschöpfung für Generationen und tragen durch das erfolgreiche Beispiel dazu bei, dass auch andere Länder ihre Klima- und Umweltschutzziele erreichen.
Das Know-how für diese Prozesse ist in allen Bereichen bereits heute vollständig vorhanden. Die Erneuerbaren sind sogar bereits heute im Modus der herkömmlichen Bewertung teilweise kostendeckend, eine CO2-neutrale Mobilität ist tendenziell bei allen Herstellern technologisch verfügbar und kann sich problemlos emanzipieren. Die zumeist fehlende Zutat ist der wirtschaftspolitische Sanktionswille verbunden mit einem pragmatischen Durchsetzungsinteresse.

Neben einigen ambitionierten und ernstzunehmenden Ansätzen gibt es viele Kongresse, Diskussionsrunden, Rios und Kyotos, die im Ergebnis allerdings leider kaum Fortschritt und global nur wenig Konsens erkennen lassen.

Das Gewünschte fördern und das langfristig Unerwünschte entsprechend belasten. Der Vorschlag solcher durchaus geeigneter Bonus-Malus-Systeme findet heutzutage leider viel zu selten den notwendigen Zuspruch. Argumentative Schein- und Schutzbehauptungen wollen hier für die Gleichberechtigung der Rechte von Konsumenten eintreten und fördern dabei meist nur eins zu Tage: Den veralteten Rechenschieber, der sich immer nur in der Momentaufnahme einer kurzen Zeitspanne rechnet, langfristig aber zum Desaster führt. Schade. In einer zukünftigen Geschichtsstunde wird es heißen: Setzen. Sechs.

Beispielhaft interessant ist die Externalisierung militärischer Sicherungskosten für Öl in mehrstelliger Milliardenhöhe. Krieg inklusive. Human- und Kolateralschäden nicht. Warum werden die tatsächlich entstandenen Gemeinkosten für Gesellschaft und Umwelt von INES-Vorfällen wie bei Sellafield, Harrisburg, Tschernobyl und Fukushima nicht in die Strompreisberechnung einbezogen..? Mit zunehmendem Invest dieser Summen in Erneuerbare Energien für Strom, Wärme und Verkehr ließe sich der Anteil innovativer, nachhaltiger Technologien zügig auf ein entscheidendes Niveau heben.

Nach der medialen Halbwertszeit von Fukushima mehren sich nun aber bereits wieder erste atomare Stimmen. China nimmt zwei Kohlekraftwerke pro Woche ans Netz, um den rasant steigenden Energiebedarf zu decken, was einem global-ökologischen Wahnsinn gleichkommt, CO2-Emissionen werden fragwürdig unterirdisch erpresst und dreckige Ölsande ermöglichen auch nach Peak Oil eine hypermobile 2-Tonnen-Mobilität – bei steigendem Meeresspiegel in ein paar Jahrzehnten dann halt eher für kleine Boote in den zumeist küstennahen Metropolregionen dieser Welt mit über 60% der Weltbevölkerung. Aber was kümmert uns das heute..?
Zumindest haben wir innovative Hybridfahrzeuge kreiert, die ganze drei Kilometer elektrisch fahren. Das ist doch toll. Vielleicht sollten wir was ändern und den guten Beispielen unserer Mitgliedsunternehmen mehr Aufmerksamkeit schenken.

Merke: Jede nachhaltig produzierte Kilowattstunde Energie ist ein Fortschritt in eine lebenswerte Zukunft. Insbesondere da sie eine ressourcenverbrauchende sinnvoll substituiert, Abhängigkeiten vermindert und die Umwelt als unsere Lebensgrundlage schont. Deutschland ist im Bereich dieser Schlüsseltechnologie Vorreiter und mit der Ambition Energiewende auf einem guten Weg. Schade, dass dabei Teile der Photovoltaikindustrie und zukunftsfähige Arbeitsplätze in Deutschland vernichtet worden sind. Aber für diese Energiewende brauchen wir das ja nicht. Der Transrapid fährt ja auch gut ohne uns in China. Fortschritt ist schließlich für alle da..

Christian Heep
christian.heep@bem-ev.de

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